#10 Sendepause N°2 Und jetzt? Und dann?

UNd jetzt? und dann?

Ich erzähle hier im zweiten Teil, wie es ist, in einer Sendepause zu sein. Das heisst, die Frage "und jetzt?" begleitet diesen zweiten Teil.

Neben "und jetzt?" ist "und dann?" auch nicht weit: hier wird nach Ziel und Inhalt nach der Sendepause gefragt. 

Den ersten Teil der Sendepause-Serie aus 2020 findest du hier.

Was ist eine Sendepause? 

Ich mache Pause von "meinen Sendungen" mit einem offenen Ende. Konkret verlasse ich meinen bisherigen beruflichen Weg ohne konkrete Pläne oder Ziele. Keine Reisepläne oder Projekte oder neue Herausforderungen - Pause für Kopf & Körper. Und die Leere, welche mit dieser Pause entsteht, lasse ich zu.

Meine Sendepause dauerte 7 Monate. Der Entscheid für eine solche Pause und diese "Leere" habe ich aber viel früher getroffen. Denn es gibt einen Unterschied bereit zu sein für eine Sendepause und es dann wirklich zu tun. 

DEr erste tag der sendepause

Ein Montag im April ist mein erster Tag meiner Sendepause. Ich erwache am Morgen und weiss, dass es jetzt anders ist. Anders, weil es nichts mehr zu tun gibt. Das Sein hat Raum erhalten. 

 

Und jetzt?

Es gibt eine Sache zu tun: um 9 Uhr erwartet mich die Autogarage in Thun für den Radwechsel. An einem Montag um 9 Uhr! Einfach so. Ich fühle mich als Rebellin. Revolutionär. Als eine Erfinderin der Freiheit. Mein Weg nach Thun führt mich am Gwatt vorbei, viele Male bin ich diesen gefahren. Aber heute nehme ich zum ersten Mal bewusst die Berge wahr und erhasche einen Blick auf das Seeufer.

 

Ja, ich weiss... es klingt verdächtig nach Klischee: Ausstieg aus der stressigen Arbeitswelt und bereits 24h danach hat sich die Wahrnehmung verändert. Ich weiss...!

 

Und trotzdem ist es genau so: Berge und Seeufer waren schon immer da, ich hatte sie aber auf dieser Wegstrecke niemals wahrgenommen. Oder mein Gehirn hatte einfach andere Dinge zu tun. Meine veränderte Wahrnehmung oder eben mein verändertes Erleben ist ein Schock und eine Freude gleichzeigt. Ehrlicherweise bin ich dieser Autogarage dankbar, dass ich etwas "zu tun" habe. Denn dieses "Sein", das nun plötzlich viel Raum erhalten hat, gilt es mutig in Anspruch zu nehmen. Eine Herausforderung für mich, da ich mich eher an Leistung und Tun orientiere oder eben orientierte.

VoGELFREI - ich bin einfach

Ich erlebe die ersten Wochen der Sendepause als frei und erfüllt. Die Frage "und jetzt?" ist unwichtig. Die Zeit und ich fliessen dahin. Ich tu Dinge, für die ich bis anhin geglaubt habe, zu wenig Zeit zu haben: 

  • Frühlings-Skitag mit lieben Freunden an einem Freitag
  • Herr der Ringe Trilogie ohne Unterbrechung durchschauen
  • Sülzle auf Frühlings-Skitouren am Montag, Dienstag, Mittwoch... :-)
  • Krokus-Felder auf Wanderungen bestaunen
  • Kärchern was das Zeug hält - Klischee und doch Realität geworden
  • Die Langsamkeit der Weinbergschnecke im Napfgebiet filmen
  • Apéröle wo, wann und wie oft ich mag

Ich fühle mich bestätigt, mit der Sendepause den richtigen Entscheid getroffen zu haben. Die Abwesenheit von Plänen, Projekten und neuen Herausforderungen macht mich vogelfrei. 

Eine Sendepause-Absicht war, mehr Zeit mit den Paten-Kindern zu verbringen. In der ersten Sendepause-Woche gibt's einen Klettertag mit dem kleinen Kletterfuchs und seiner Mama in la Rochette, Malleray. Es ist ein Wochentag (wieder dieses Gefühl von Rebellion und absoluter Freiheit!) und ich bin auf dem Weg nach Malleray. Ich fühle mich vogelfrei und zufrieden. Wir klettern, bräteln (ist viel wichtiger als klettern), machen eine Einführung in das Natur-Klosett. Und es ist auch im April, wo ich das jüngste meiner Paten-Kinder kennen lerne. Er ist winzig, gut einen Monat alt. Mein Herz ist erfüllt und die Frage nach "und jetzt?" ist unwichtig, ich bin einfach.

Das VAKUUM

Leere kann beflügelnd, bereichernd, erfüllend sein - ein Gefühl von "einfach sein". Leere kann aber ganz anders: dann fühlt sie sich an wie ein Vakuum, ein Gefühl von unausgefüllt, vielleicht sogar etwas unter Druck sein.

Mein "ich bin einfach" wird plötzlich immer wieder durch das Gefühl von "ich bin im Vakuum" abgelöst.

 

Wie kommt das und woher kommt dieses Gefühl? Ich weiss es nicht genau. Aber ich habe eine Hypothese: das Fehlen von Struktur, Plänen und Zielen, von Gebraucht-werden, von den Tagesablauf-kennen, von To-do-Listen-abarbeiten etc. löst dieses "ich bin im Vakuum" aus. So äussert sich das Vakuum-Gefühl bei mir: 

  • Ich habe das Gefühl einer Leere in mir, eine unausgefüllte und unangenehme Leere.
  • Ich habe den Wunsch nach Struktur und nach Gebraucht-werden, nach Zielen und Plänen.
  • Mein Körper wird "unruhig"
  • Mein Raum & Körper werden "eng".
  • Ich habe unaufhörlich schwatzende Stimmen im Kopf, die davon überzeugt sind, mir den richtigen Weg zu weisen.

Ein Paradox. Ich habe mich bewusst für eine Sendepause, für eine Abwesenheit von Plänen, Zielen, Strukturen etc. entschieden und genau diese Abwesenheit erzeugt jetzt dieses Vakuum. Und das Fazit: einfach sein ist nicht einfach.

Es ist ein Weg nach innen

Ich nehme nun die Herausforderung an und stelle mich dieser unangenehmen Leere, diesem unausgefüllten Raum. Ich habe es mit Pläne-Schmieden probiert, mit klaren Tagesstrukturen etc. Und ja, alle diese Dinge im Aussen haben mir Orientierung, Halt und auch Zufriedenheit gegeben und trotzdem war dieses Gefühl von "ich bin einfach" abwesend. Wenn es nicht im Aussen zu finden ist, dann ist es eine Reise nach Innen? Jawohl. Es ist ein Loslassen, erneut. Und dann, wenn ich nichts mehr in den Händen halte, stellt sich dieses Gefühl von "ich bin einfach" wieder ein. Es ist ein tägliches Üben. Ein Work-out für den Körper, Geist & Seele :-). Unabhängig von jeder Sendepause.

Ein Kamel in Zürich und die mongolei

Und wenn man einfach so ist, passieren aufregende Dinge. Ich habe ein Treffen in Zürich beim Sechseläuten-Platz. Ein Zirkus mit Kamelen gastiert auch auf diesem Platz. Ich bestaune diese sanften Kolosse und der alte Wunsch nach einer Wüsten-Reise nimmt Form an. Dann geht's blitzschnell: eine einschlägige Suchmaschine informiert mich darüber, dass Globotrek in der Mongolei Kamel-Trekking anbietet. In der Mongolei! Ein Herzensreiseziel. Es ist genau ein Reise-Platz für mich noch frei, ich buche und reise ab. Und dies, obwohl ich mir geschworen hatte, nie eine Gruppenreise zu unternehmen. Ich schreibe dies in Zeiten von Reise-Verboten oder Einschränkungen und bin einfach nur froh, habe ich mich von einem Kamel am Sechseläuten-Platz zu einer Mongolei-Reise inspirieren lassen. Es ist ein sehr freudiges Erlebnis. Abgesehen von zwei Dingen: Sand, der sich an den unmöglichsten Orten einnistet und die Erkenntnis, dass es weniger anstrengend bzw. schmerzhaft sein kann durch die Wüste zu laufen, als zu reiten. 

Impressionen dieses Trekkings:

Es ist gut so

Ein besonderer Moment des Wüsten-Trekkings: Ein Gespräch mit den Kamelführern, mongolische Nomaden, welche uns mit ihren Tieren begleiteten. Mickey unsere Deutsch-Mongolisch Dolmetscherin begleitet diesen Abend am Feuer.

Fragen & Antworten: 

  • Kamelführer stellt sich vor: "Mein Name ist Baba. Ich lebe mit 8 Menschen zusammen. Vater, Mutter, Ehefrau und die 4 Kinder. Wir haben 40 Rinder, 30 Kamele und 60 Ziegen."
  • Ich: "Mein Name ist Sandra. Ich lebe mit meinem Partner und einer kleinen schwarzen Katze in der Schweiz, auf dem Land. Wir haben keine weiteren Tiere. Ich verdiente Geld mit einer Arbeit im Bereich Marketing & Kommunikation... wie erkläre ich das?"
  • Kamelführer: "Warum habt ihr eine Katze? Wozu ist sie da?"
  • Ich: "Hmm. Sie ist Teil der Familie."
  • Kamelführer: "Aha."
  • Ich: "In der Schweiz gibt es auch "Nomaden", die Vieh halten. Wir haben noch Bergbauern, welche mit ihrem Vieh im Sommer auf die Alp ziehen. Ansonsten sind die Bauern in der Schweiz sesshaft und besitzen Vieh, welches auf ihrem eigenen Land lebt." 
  • Kamelführer: "Ihr besitzt Land, warum denn das? Fressen die Tiere nicht einfach da, wo es genug Nahrung gibt?"
  • Ich: [staunt, ist wortlos und nachdenklich] "...ähm nein. Land ohne Besitzer ist in der Schweiz nicht vorstellbar."
  • Ich: "Welche Wünsche oder Ziele hast du noch für dein Leben?"
  • Kamelführer: [staunt und ist wortlos] "Wie meinst du das? Ich verstehe die Frage nicht. Ich bin Nomade und Kamelführer und das ist gut so. Und kann so bleiben."

Ich habe an diesem Abend viel gelernt.

Die fülle

Die zweite Reise in meiner Sendepause. Wir bereisen den Nordwesen der USA mit einem Truck-Camper in einem überraschend kalten Herbst. Ein besonderer Moment dieser Reise ist der Besuch des Lamar Valley im Yellowstone Park. Die Fülle an Tieren - vor allem Bisons - ist überwältigend. Bisons sind urtümlich und strotzen vor Kraft und Mut. Sie leben in der Fülle. Es ist die Abwesenheit von Mangel, das dieses Tier mich lehrte.

Impressionen aus dem Yellow-Stone National Park:

Inspiration

Reisen inspiriert. Egal ob in die Mongolei, den Nordwesten der USA, ins Emmental, das Berner Oberland, die Vergangenheit oder Zukunft oder in mein Inneres. Ich habe viele inspirierende Momente während den Sendepause-Reisen erlebt und zugegeben ganz im Innersten vielleicht auch gehofft, dass eine "grosse Eingebung" mir meinen zukünftigen beruflichen Weg weist. Während ich das jetzt schreibe, lächle ich über mich selbst...

Ich kann's jetzt verraten: Diese grosse Eingebung ist ausgefallen. Weder ein Kamelritt noch die Bison-Erlebnisse haben mir DEN beruflichen Weg gewiesen. Sicher ist aber, dass mich die Reisen gestärkt und inspiriert haben, mutig meinen Weg zu erkennen und letztendlich auch zu gehen. Wege entstehen bekanntlich nur dadurch, dass man sie geht - das wusste bereits Erich Kästner. 

Und dann?

Und dann? Natürlich fällt mich die Frage nach dem "und dann?" in den unpassendsten Momenten von hinten an. Es plagen mich Zweifel und Ängste - ich fühle mich gestresst und angespannt: "Was passiert, wenn ich meinen Weg nicht finde? Wie gehe ich das Ganze an - wo beginne ich?". Und in Momenten voller Vertrauen und Fülle, ist die Frage "und dann?" eine freudvolle Herausforderung, eine wunderbare Chance. Fazit: ich erzeuge meine Realität - egal ob ich meine unruhigen Geister rufe oder mich dem Vertrauen zuwende.
Ich beende meine Sendepause nicht bewusst, sondern folge klaren inneren Impulsen manchmal auch einer inneren Unruhe und dadurch entsteht schrittweise das "und dann". Wie und woran erkenne ich, dass es richtig und wichtig ist einem Impuls zu folgen? Und wie weiss ich, dass ich auf "meinem" Weg bin?
  • Ein Wohlgefühl im Körper.
  • Ein stilles und doch sehr lautes "Ja".
  • Ein schweigender Kopf, nachdem er seinen Senf dazugeben hat.
  • Eine innere Ruhe, eine innere Freude.
  • Kraft und Energie für Taten - es fliesst.
  • Impulse und Ideen nehmen mühelos und freudvoll Form und Gestalt an.
  • Freude am Tun.
Was bedeutet das nun konkret für das "und dann?" meiner Sendepause-Situation:
  • Das Kernstück meiner zukünftigen Arbeit ist für mich klar: "Menschen begleiten, Führung, Bewegung, in den Bergen, draussen".  
  • Die Frage nach der konkreten Umsetzung dieser Kernstücke ist zuerst noch offen: Wie und wo bringe ich meine Erfahrungen, Kompetenzen, meine Person ein? Kann ich damit auch meinen Lebensunterhalt verdienen?
  • Ein Führungsjob ist für mich im Moment keine Option - Ausschlussverfahren. 
  • Die wiederentdeckte Unabhängigkeit und Freiheit zeigen eine berufliche Selbständigkeit an. 
  • Die Sicherheitsfanatikerin in mir wünscht sich unterschiedliche berufliche "Standbeine".
Der erste Impuls: Coaching von Führungskräften, Privatpersonen, Teams. Persönlichkeitsentwicklung. Drinnen und draussen. Outdoor-Coaching. Coaching in der Natur. Der Idee ein Gesicht geben. Eine Website zusammenstellen und gestalten kann dafür ein sehr lehrreicher und klärender Prozess sein. Erste Anfragen von Kundinnen und Kunden. Dann eine Entwicklerinnen Rolle bei Development Centers an der BFH... 
Der zweite Impuls: Erfahrung und Wissen teilen, Führungskräfte begleiten, Potenzial entdecken, unterrichten im Bereich Leadership. Der Idee ein Gesicht geben. Nach erster Netzwerk-Recherche war klar, ich benötige die Weiterbildung zur Kursleiterin SVEB1. Die Suche nach passenden Anbietern dieses Lehrgangs führt mich zu INSPIRIERBAR. Genau ein freier Platz hat es noch in diesem Lehrgang. Perfekt. Ab diesem Moment folge ich einer zarten und doch glasklaren Spur und unterrichte tatsächlich ca. 1 Jahr später Führungskräfte im Bereich Teamführung, Kommunikation, Selbstmanagement und Präsentation. Der Weg dazu war nicht vorhersehbar, es war eben eine Spur. 

KEIN Grosser PLan - Eine Entwicklung

Ja, ich stehe dazu. Die Vorstellung ist sehr verlockend mit einem wunderbaren Arbeitsleben-Gesamtkonzept nach der Sendepause einzusteigen. Der Wunsch nach Sicherheit und der Gewissheit "wohin" ich gehöre, sind die Treiber für dieses gedankliche Gesamtkonzept. In der Realität funktionierte es so bei mir aber nicht. Meine Selbstständigkeit war und ist eine Entwicklung. Impulse von Innen und Aussen ergeben Konzepte, Konzepte werden umgesetzt, sind erfolgreich oder auch nicht und zerfallen wieder. Ein Pendel - hin und her. Lebendig, freudig, stimmig und aufregend, manchmal auch mutlos, unpassend und uninspiriert.
Und doch gibt's ein Gesamtkonzept: ich begleite Menschen drinnen und draussen. Sie erkennen in Klarheit ihre vollkommene Grösse und gehen ihren Weg.

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